Haack Weltatlas-Online

Infoblatt Migration


Push-Pull-Faktoren und bedeutende Migrationen der Neuzeit



(Klett-Perthes)


Was ist Migration?

Im Allgemeinen wird unter Migration (Wanderung) die auf Dauer angelegte bzw. dauerhaft werdende räumliche Veränderung des Lebensmittelpunktes einer oder mehrerer Personen verstanden. Wanderungsbewegungen können nach mehreren Kriterien unterschieden werden. Ausschlaggebend sind dabei die zeitlichen und räumlichen Faktoren sowie die Ursachen für die Wanderungen. Die zeitlichen Kriterien beziehen sich auf die Dauer und den Verlauf von Wanderungen. Eine Gruppe bilden die Pendler und Touristen, die jedoch stets und in binnen kurzer Zeit wieder an ihren Wohnort zurückkehren. Bleiben die Pendler länger von ihrem ursprünglichen Lebensmittelpunkt entfernt (z. B. wegen Ausbildung, Saisonarbeit), dann kann bereits von temporärer Migration gesprochen werden. Wanderungen können weiterhin nach räumlichen Merkmalen analysiert werden. Je nach Bezugseinheit (Gemeinde, Region, Land) kann dabei in Binnen- oder Außenwanderung unterschieden werden. Wichtige Teile der Binnenwanderungen betreffen beispielsweise Land-Stadt-Wanderungen oder den Wegzug aus der Stadt ins Umland. Wenn beim Umzug Nationalstaatsgrenzen überschritten werden, wird dies auch als internationale Migration bezeichnet. Viel schwieriger ist die Bestimmung der Gründe für Wanderungen. Ob nun ein Migrant freiwillig oder gezwungenermaßen seinen Wohnort verlässt, kann oft nicht genau bestimmt werden. Häufig gibt es eine Vielzahl von Antrieben, die Herkunftsregion zu verlassen.


Push- und Pull-Faktoren

Für die Erklärung von Wanderungsgründen werden oft die Push- (Schub) und Pull-Faktoren (Sog) der Herkunfts- und Zielregion untersucht. Push-Faktoren wirken im Herkunftsgebiet abstoßend und die Pull-Faktoren im möglichen Zielgebiet anziehend und bindend. Push-Faktoren sind z. B. Kriege, Menschenrechtsverletzungen (Diskriminierung, Folter, Verfolgung, Verschleppung), Umweltzerstörungen und Naturkatastrophen, Armut und Hunger, wirtschaftliche Not und Perspektivlosigkeit. Als Sog-Faktoren auf die Migranten wirken Wohlstand, Stadtkultur, Demokratie, Menschenrechte und Emanzipation. Technischer Fortschritt ist dabei eine wichtige Voraussetzung und zudem auch Ursache für viele Wanderungen. Fortschritte in der Seefahrt und im Eisenbahnbau haben die großen Auswanderungswellen im 18. und 19. Jahrhundert aus Europa nach Amerika erst ermöglicht. Heute werden beispielsweise durch Radio und Fernsehen oftmals Visionen von einem besseren Leben in der Stadt bzw. im Ausland in entlegene Gebiete transportiert. Die Summe dieser Faktoren hat großen Einfluss auf die individuellen Beweggründe der Wanderungswilligen. Es muss jedoch beachtet werden, dass die Entscheidungen in die jeweiligen politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Strukturen eingebettet sind. Zusätzlich spielt die historische Entwicklung eine maßgebliche Rolle (z. B. Kolonisation).


Bedeutende Migrationen der Neuzeit

1. Auswanderungen aus Europa
Europa galt bis zum 2. Weltkrieg als Auswanderungsgebiet. Als Ausgangspunkt für umfangreiche Migrationen wanderten bis in das frühe 20. Jahrhundert mehr als 50 Millionen Europäer in die Überseeländer aus. Die Hauptzielgebiete lagen in Nordamerika, aber auch in Süd- und Mittelamerika sowie in Australien. Diese großen Wanderungsbewegungen der jüngeren Geschichte sind besonders facettenreich. Ursachen waren u. a. wirtschaftliche Perspektivlosigkeit, Hunger, politische Repressionen und religiöse Motive (z. B. die Puritaner). Die Auswirkungen auf das Zielgebiet in den USA waren tiefgreifend. Negative Begleiterscheinungen waren der Völkermord an den Ureinwohnern Amerikas und die Verschleppung von Millionen von Sklaven aus Afrika. Weniger bekannt ist, dass rund 10 Millionen Menschen nach Südrußland und Sibirien emigrierten. Diese Wanderungen nach Osteuropa und Russland hatten jedoch einen planmäßigeren Charakter.

2. Flucht und Vertreibung durch Krieg:
Das 20. Jahrhundert wird oft auch als das "Jahrhundert der Flüchtlinge" bezeichnet. Der 2. Weltkrieg war diesbezüglich das bedeutendste Ereignis. In ganz Europa waren über 40 Millionen Menschen auf der Flucht, wurden vertrieben oder umgesiedelt. Gegenwärtig gibt es laut 'Conflict Barometer 2011' weltweit 38 Kriege, Bürgerkriege oder kriegsähnliche Konflikte. Als einzige Chance zum Überleben bleibt den Betroffenen vor Ort oft nur die Flucht. Völkerrechtlich wird als Flüchtling aufgefasst, wer das Land aufgrund einer begründeten Furcht vor Verfolgung oder Gefährdung verlassen muss. Nach Schätzung des Flüchtlingshilfswerkes der UNO sind derzeit (2012) ca. 15,4 Millionen Menschen auf der Erde davon betroffen.

3. Gastarbeiter in Europa
In vielen westeuropäischen Ländern führte das starke Wirtschaftswachstum in den 1960er und 1970er zu einem ständig steigenden Arbeitskräftebedarf. Als Folge kamen Millionen von Arbeitskräften aus süd- und südosteuropäischen sowie aus nordafrikanischen Staaten nach West- und Mitteleuropa. In Deutschland stieg die Zahl der Gastarbeiter bis 1972 auf rund 2 Millionen an. Seit der Ölkrise 1973 wurden keine neuen Gastarbeiter mehr angeworben. Trotzdem stieg die Anzahl der ausländischen Mitbürger weiter an, da viele Gastarbeiter ihre Familien nachholten.

4. Verstädterung durch Landflucht:
Von Landflucht wird dann gesprochen, wenn über längere Zeit Teile der ländlichen Bevölkerung in die Städte abwandern. Diese Entwicklung ist typisch für Gesellschaften im Übergang von der traditionellen Agrarwirtschaft zur industriellen Massenproduktion. In Mitteleuropa fand diese Entwicklung bereits im 19. und 20. Jahrhundert statt. Ursachen für die Landflucht sind oftmals der wachsende Bevölkerungsdruck im ländlichen Raum und die im Vergleich zur Stadt schlechteren Arbeits- und Lebensbedingungen. In vielen sog. Entwicklungsländern ist gegenwärtig die massive Landflucht eines der Hauptprobleme. Die allgemeinen Schwierigkeiten der Gesellschaft werden dabei in die Städte übertragen und können sich hier zu einer nicht mehr beherrschbaren Situation aufschaukeln. Viele Städte im Zielgebiet können den Zustrom an Migranten kaum verkraften. Es gibt weder ausreichend Beschäftigungsmöglichkeiten noch den entsprechenden Wohnraum. So schlecht die Lebensbedingungen in der Stadt auch sind, es ist chancenreicher als auf dem Land. Oftmals ist einzig die Hoffnung auf ein besseres und sicheres Leben das leitende Motiv der zuziehenden Bevölkerung. Der Bevölkerungsexplosion folgt also eine explosionsartige Ausbreitung der Metropolen, was in diesem Ausmaß in den (alt-)industrialisierten Ländern nicht stattgefunden hat.


Literatur

BÄHR, J. (1997): Bevölkerungsgeographie.- Stuttgart.


Quelle: Geographie Infothek
Autor: Mirko Ellrich
Verlag: Klett
Ort: Leipzig
Quellendatum: 2006
Seite: www.klett.de
Bearbeitungsdatum: 04.10.2012